Teil 16 - Märchen, da wird dir ganz anders
London hatte mich beflügelt. Also warum nicht einmal über die Promenade zu Pinocchio? Obwohl, ergeht es euch auch immer so? Die Geschichte ist irgendwie nicht besonders rund und ärgert mich letztlich doch ein wenig. Dieser verzogene Bengel, ohne Manieren und wie es scheint ohne einen Funken Verstand. Gut, ich weiß, das Bürschchen ist noch neu im menschlichen Business. Aber trotzdem soll das die Moral der Geschichte sein? Die arme Grille kann einem nur Leid tun. Das gilt natürlich auch für den angehenden Vater Pinocchios. Aber so ist das im Leben. Manchmal wiegt eine gute Tat einfach mehrere dämliche auf. Und die Moral von der Geschichte? Ghepetto hat eine Nervensäge an der Hand. Ich weiß wirklich nicht, ob diese Geschichte für Kinder ein gutes Beispiel ist.
Gleiches gilt natürlich auch für die Fahrt an und für sich. Findet ihr das nicht teilweise sehr verstörend? Angefangen bei der extrem vollbusigen Marionette gleich links zu Beginn der Fahrt, neben Pinocchio. Dann die sehr gruseligen Bäume, Szenen von Gewalt und Drohungen, sogar Isolationshaft. Bis hin zum Wal, der auch alles andere als freundlich wirkt. Und dabei verrichtet er auch nur seinen Job in der Geschichte. Vielleicht ist das alles nur ein Ausgleich zur Moral der Geschichte? Ich bin skeptisch. Manchmal werden ja einfach Effekte, der Effekte willens genutzt.
Zur Aufheiterung begab ich mich eine Station weiter. Schneewittchen. Gut, ich muss zugeben, ich bin nicht die ganze Zeit, während dieser Fahrt vergnügt. Ich leide schon immer sehr mit der armen Königin. Was muss sie nicht alles erdulden? Erst erbarmt sie sich und opfert ihre Jugend und Tatkraft einem alternden, alleinerziehenden Vater. Der hat nicht nur seine Angestellten und seinen Hofstaat nicht wirklich im Griff. Und, wenn sie versucht Zucht und Ordnung in die Hofhaltung zu bringen, wird sie von den Mitarbeitern ausgebremst. (Ich möchte nur kurz an den unsäglichen Jäger erinnern.) Nein, sie hat sich auch noch mit einer verwöhnten Göre abzumühen. Alle ihre Talente und Mühen sind an diesem Kind verschwendet. Die heranwachsende Stieftochter der Königin hat nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag pseudo - fröhliche Liedchen zu trällern, hängt in ihren Träumen den Männern nach und treibt sich dauern mit tollwütigen, wilden Tieren aus den umgebenden Wäldern herum. Ich finde, die Königin hat es wahrlich nicht leicht.
Die Geschichte wird erst dann ein wenig erträglicher, als die junge Göre in eine Männer WG zieht. Dort lernt sie erst einmal, was arbeiten bedeutet. Natürlich lädt sie sich selbst bei den Herren ein. Ganz verwöhnte Prinzessin und Papas Liebling. Ungefragt bedient sie sich an den kargen Vorräten der Herren, legt sich in alle Betten, ehe ihr eines genehm ist, um schnarchend, mit Schuhen einzuschlafen. Wirklich ein tolles Beispiel für die "Upper Class" und deren Benehmen. Nun sind die Herren ihrerseits auch keine Säulen der Ehrbarkeit. Ob, sie die anscheinend sehr reichlichen Erträge versteuern? Ich weiß es nicht. Aber eine Minderjährige ohne Steuerkarte und Krankenversicherung für sich arbeiten zu lassen, ist auch nicht gerade vorbildlich. Ich halte den Arbeitgebern zugute, dass sie zumindest besorgt, um ihre neueste Angestellte zu sein scheinen. Nach zwei kapitalen Fehlern der jungen Dame unter reichlicher Missachtung von Verhaltensregeln und Ermahnungen haben sie ihr gerade mal eine mündliche Ermahnung erteilt. Vermutlich war ihnen klar geworden, dass die junge Frau nicht gerade der hellste Stern am Firmament des gesunden Menschenverstandes ist. So kann man den Herren auch nicht die Schuld am dritten Arbeitsunfall, dieses Mal mit Todesfolge, geben. Vielmehr sorgten sie trotz allem für ein anständiges Begräbnis. Auf Firmenkosten, würde ich sagen. Das Mädchen wird in ihrer Arbeitskleidung aufgebahrt und die Arbeitgeber statten das Grab mit reichlich Blumenschmuck aus. Eine Verschwendung für das Kind. Ich kann da nicht viel Mitleid aufbringen. Dummheit muss irgendwann auch mal bestraft werden.
Auch hier ist die Moral der Geschichte mehr als dubios. Bist du dämlich genug, kommt zur Not ein Lebensretter vorbei? Damit du in Saus und Braus ein Leben ohne Sorgen führen kannst? Ich muss nicht alles verstehen. Was aus den Männern wird, geht aus der Geschichte nicht hervor. Ich vermute sie haben sich dumm und dämlich mit ihrer Mine verdient. Vielleicht haben sie sogar die Schürfrechte für das ganze Reich geschenkt bekommen? So unter dem Motto, eine Hand wäscht die andere? Und die arme Stiefmutter? Sie kommt bei dem Versuch sich gegen die Übermacht der Männer zu verteidigen ums Leben. Kein befriedigendes Ende, wie mir scheint. Allein, hätte es nicht schlimmer für sie kommen können? Man stelle sich vor, sie wäre die Oma von einer Horde lärmender Kinder des "glücklichen" Paares geworden? Sie wäre als Babysitter missbraucht worden. Die Kinder hätten erwartet, dass regelmäßig größere Geldgeschenke zu jedem Feiertag herübergereicht worden wären. Und wenn die Eltern durch die Lande reisten, müsste sie die Kinder schlimmstenfalls wochenlang auch noch versorgen. So gesehen, weiß ich nicht, ob die Dame einem schlimmeren Schicksal, mit Glück entgangen ist.