Es war toll! ? Clark Spencer war selbst vor Ort, hat durch das Programm geführt und anschließend einige Fragen beantwortet. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet! Es war durch seinen Kommentar ein richtiges Eintauchen ins Disney-Universum und ein ganz wunderbarer Nachmittag.
Bereits am Tag zuvor hatte es auf der Berlinale eine Disney-Vorstellung gegeben: Die weltweit erste öffentliche Aufführung der restaurierten Cinderella-Fassung. (Mehr dazu
hier.)
Nun ging es auf eine Zeitreise durch die (Disney) Film- und Animationsgeschichte. Die Kurzfilme hob Spencer als ganz besonderes Medium hervor, das als Spielwiese der Animateure dient und so immer wieder technische Innovationen hervorbringt.
Cinderella (1922)
Ein Film aus der ersten „richtigen“ Cartoon-Serie von Walt und seinem Team zu Zeiten der Laugh-O-Gram-Studios. Man merkt, dass sich der Zeichentrick noch in den Kinderschuhen befand. Der Film erinnert in seiner Machart sehr an Stop Motion und gleichzeitig durch die überzeichneten Charaktere und stakkatoartigen Bewegungen irgendwie auch an ein frühes Videospiel. Was damals innovativ war, bringt heute eine ganz eigene unfreiwillige Komik mit sich und alleine durch die Art des Films gab es viele Lacher im Publikum.
Überhaupt war es schön, dass während der gesamten Vorführung im Publikum viel gelacht, reagiert, applaudiert (und zum Schluss auch mal geweint) wurde. Habe ich so lange nicht mehr im Kino erlebt und ist sicher auch dem besonderen Festivalpublikum geschuldet. Spencer hob das nach der Vorstellung auch als ganz unersetzliches Element von Kino hervor und erwähnte im gleichen Atemzug, dass es beispielsweise den im November erscheinenden Film „Wish“ auch nur in den Kinos geben wird.
Alice’s Wonderland (1923)
Eine für die damalige Zeit herausragende Kombination von Live Action und Cartoon, die Walt letztlich den Auftrag für eine ganze Serie einbrachte. Ich fand es spannend zu sehen, wie der Film einerseits technisch hervorragend gemacht ist, andererseits auch ein kleines „Behind the scenes“ der Entstehung ist, beispielsweise zeigt, wie die Geräusche der Zeichentrickfilme gemacht werden. Bemerkenswert für diese Zeit!
Trolley Troubles (1927)
Oswald! ? Und das Erforschen von Perspektive im Zeichentrick aus der Feder von Ub Iwerks. Für mich der erste Film des Nachmittags, der die unverwechselbare „Disney“-Handschrift trägt. In der Art des Storytellings, der Kombination von Musik und Geschichte…alleine die Musik zu Beginn versetzte mich gedanklich auf die Main Street, da würde sie wunderbar hinpassen.
Steamboat Willie (1928)
Der einzige Film des Nachmittags, den ich schon kannte – aber bisher auch nur ausschnittweise! Die Bedeutung eines der ersten vertonten Animationsfilme ist wohl unumstritten und Mickey als Figur des Underdogs, mit dem sich die Menschen während der Great Depression identifizieren konnten, erwischte genau den Zeitgeist. Die Storyline wirkt teilweise aber doch auch etwas absurd und sehr überzeichnet. „What did the animators have against farm animals?“, fragte sich auch Clark Spencer nach der Vorführung…
Der zweite Teil des Nachmittags drehte sich vor allem um Innovation bei Charakteren und der Animation als Kunstform in den 30er bis 50er Jahren.
Clock Cleaners (1937)
Was mir hier besonders gut gefallen hat, ist das Gefühl eines klassischen Mickey Shorts, bei dem vor allem die drei Charaktere Goofy, Donald und Mickey wunderbar porträtiert sind. Sicher wurde der Film repräsentativ ausgewählt für die Blütezeit der die drei als klassisches Comedy-Trio. Ich kann gar nicht richtig in Worte fassen,
was es ist, das diese Art von Zeichentrickfilm so unglaublich unterhaltsam und „enjoyable“ macht (da fehlt mir gerade das passende deutsche Wort), aber dieser Film hat es.
The Old Mill (1937)
Der erste Film mit der Multiplan-Kamera, von wirklich herausragender Schönheit. Gepaart mit Naturszenen, gleichzeitig der Disney-typischen Vermenschlichung von Tieren, der klassisch komischen Cartoon-Logik (wie dem leuchtenden Frosch, nachdem er ein Glühwürmchen verspeist hat) und der Musik, die mich zu Beginn ans Dschungelbuch erinnert, zum Schluss mit dem Frauenchor an Prinzessinnenfilme und einfach durch und durch Disney-DNA versprüht.
Die Qualität und Brillanz der Bilder, die Schlichtheit und Schönheit der Szenerie und der Geschichte haben mich wirklich umgehauen. Möglicherweise habe ich einen neuen Disney-Lieblingsfilm ?
Und nebenbei finde ich es jetzt, wo ich diesen Film kenne, umso schöner, dass das Disneyland Paris ihm Tribut zollt.
Trailer Horn (1950)
Der Film macht einfach Spaß! Und hier gilt das gleiche, wie bei „Clock Cleaners“ – ich hatte wirklich vergessen, wie toll solche klassischen Zeichentrick-Sketche sind. Die Erinnerung daran ist, neben der Wertschätzung der Animationskunst, der Zeitreise durch die Disney-Geschichte und irgendwie auch Walts Geist, der da zwischen allem rumschwebte, ein großer Wert des Nachmittags für mich gewesen.
Lambert the Sheepish Lion (1952)
War nicht ganz so mein persönlicher Fall, allerdings habe ich großes Mitgefühl mit Lambert und seiner Mutter empfunden. Ein spannender Punkt, der in der späteren Fragerunde auch von einer anderen Zuschauerin angesprochen wurde, die in der Traumatherapie arbeitet und Zeichentrickfilme oft zu Therapiezwecken nutzt. Sie fragte sich, was Animationsfilme mit uns machen, dass sie so eine positive Wirkung haben können im Gegensatz zu Live Action Filmen, die dieses Potenzial nicht in der Weise besitzen. Clark Spencer beantwortete das mit dem hohen Identifikationspotenzial. Im Zeichentrick sind die Charaktere oft überspitzt dargestellt, zeigen uns auch Fehler, Mängel und Ungerechtigkeiten der Welt und anderer Personen. Im Gegensatz zu Live Action sei der Zeichentrick weit genug von unserer Realität weg, um diese Dinge abstrahieren zu können und wiederum daraus Nutzen für das eigene Leben zu ziehen, so sagte er sinngemäß.
Ich muss sagen, dass ich (vor allem seit ich selbst Mutter bin) kein großer Fan von der Vermenschlichung von Tieren in Büchern, Filmen etc. bin. Unter dem genannten Gesichtspunkt scheint es ja aber fast logisch, dass diese eben auch ein noch größeres Potenzial zur Identifikation bilden. (Wobei es Disney und anderen ja durchaus auch „großartig“ gelingt, rassistische oder anders diskriminierende menschliche Stereotype auf Tiere zu übertragen, was ich durchaus kritisch sehe, aber im Grundsatz betrachte ich das Thema nun aus einem neuen Blickwinkel.) Es war großartig sich dessen bewusst zu werden, dass Zeichentrick diese besondere Wirkung und sogar therapeutisches Potenzial hat.
Mir fiel auch auf, wie unglaublich gut die Qualität und „Geschmeidigkeit“ der Filme zu dieser Zeit war, in der die Spielfilmaufnahmen ja bei weitem noch nicht diese Bildbrillanz aufweisen konnten.
Im dritten Teil ging es dann in die heutige Zeit mit zwei Filmen, die einmal mehr zeigen, wie Animationsfilme Geschichten erzählen können, ohne Sprache zu verwenden.
Spencer berichtete vom betriebsinternen Programm „Short Circuit“, bei dem alle Mitarbeiter der Animation Studios, egal in welcher Abteilung oder Position sie arbeiten, anonym Ideen einreichen können. Wenn die Idee für die Umsetzung ausgewählt wird, darf die Person Regie führen. Aus diesem Programm sind bereits 20 Kurzfilme auf Disney + veröffentlicht worden.
Going Home (2021)
Ein sehr emotionaler und berührender Film des deutschen Filmemachers Jakob Frey, entstanden im „Short Circuit“-Programm, mit ganz eigenem Stil. Mir persönlich ging der Film etwas zu schnell, aber nichtsdestotrotz gehörte ich zu denen, die am Ende geschluchzt haben.
Paperman (2012)
Hier hat mich die Story nicht so gecatched, weil sehr vorhersehbar war. Wobei sie das bei Going Home auch war, fällt mir gerade auf, aber was einen dann berührt oder auch nicht ist ja sehr individuell. Der Film war mit der neuen Meander-Technologie aber bahnbrechend in der Kombination von handgezeichneten 2D-Bildern und 3D Computeranimation und steht so in der Tradition von Kurzfilmen als Spielwiese für neue Technologien im Hause Disney.
Aktuell arbeiten die Studios an einem Kurzfilm, der zusätzlich zu diesen beiden Dimensionen auch noch Live Action Hintergründe integriert. So ganz kann ich mir das noch nicht vorstellen, aber bin umso gespannter auf das Ergebnis.