Buch-Autor David Younger im Interview – Teil 3
03.07.16, 13:00 |
Heute folgt Teil 3 unseres Interviews mit David Younger.
Den ersten Teil findet Ihr hier und den zweiten hier.
Im heutigen Teil des Interviews geht es um das Disneyland Paris, besondere Design-Ideen für das europäische Magic Kingdom, die Besonderheiten von Discoveryland, darüber, was andere Parks von Disney lernen können und wie ein Imagineer denkt.
Torsten: Lass uns ein bisschen über das Disneyland Paris sprechen. Der Disneyland Park ist eindeutig ein Magic Kingdom, das in vielerlei Hinsicht seinen Vorgängern folgt, Disneyland und Magic Kingdom in Walt Disney World. Anfänglich gab es viel mehr unterschiedliche Ideen, als die, die letztendlich umgesetzt wurden. Eddie Sotto plante ursprünglich, dass das Setting für die Main Street, U.S.A. eher im Stil der 20er Jahre, als im viktorianischen gestaltet werden sollte. Tim Delaney hatte eine völlig andere Vorstellung von einem Disney-Schloss – aber am Ende folgte das Design vieler Elemente oft den alten, bekannten Pfaden. Was sind Deiner Meinung nach die Gründe dafür? Ist das nur eine Frage des Budgets oder hat Disney sich nicht getraut, neue Wege einzuschlagen, weil die Ideen zu weit entfernt vom typischen Design und zu ambitioniert erschienen?
David: Da gibt es einige Konzepte des Themenparkdesigns, die hierfür relevant sind. Das erste ist ideation – dabei werden so viele kreative Ideen wie möglich gesammelt, weil man nur über den Vergleich mit anderen Ideen herausbekommt, welche die Beste ist. Der zweite Schritt nennt sich eyewash und hierbei ersinnt man das auffälligste, größte und außergewöhnlichste Konzept, das einem einfällt und anschließend wird dieses Konzept in eine realisierbare Idee zurückgeführt. Die Ideen zum Disneyland Paris, die Du eben erwähnt hast, haben sich bestimmt aus diesen Prozessen ergeben und es ist für ein Projekt von der Größe eines Disneylands Paris nicht unüblich, tausende von Ideen aus den unterschiedlichsten Gründen wie dem Budget, dem Marketing, der Umsetzung oder einfach aus kreativen Präferenzen heraus fallen zu lassen. Das Konzept der Main Street, U.S.A im Stil der 1920er wurde aufgegeben, weil Michael Eisner besorgt war, dass Gangster nicht mit dem optimistischen Thema von Disney harmonieren würden. Das Disney-Discoveryland-Schloss wurde fallen gelassen, weil das Marketing der Meinung war, dass das Schloss ein einschlägiges Symbol und unverzichtbar für das Image von Disney sei. Aber auch wenn diese Ideen aufgegeben wurden, sollten wir die Qualität der Ideen nicht übersehen, die sich durchgesetzt haben. Nehmen wir zum Beispiel Tim Delaneys Discoveryland-Schloss, hätten wir das bekommen, dann hätten wir heute nicht das fantastische Märchenschloss von Tom Morris. Und mit Eddie Sottos 20er Jahre Main Street, U.S.A. hätten wir nicht seine wundervolle 1900er Main Street, U.S.A. bekommen. Der Disneyland Park ist ein Park, den ich immer wieder unter die Lupe nehmen und dabei geniale Designentscheidungen finden kann. Obwohl es noch ein Abguss eines Castle Parks, eines Magic Kingdoms ist, wurde bei ihm dieses Konzept raffiniert aufgeppt. Die Arkaden der Main Street, das Steampunk Discoveryland, die vertauschten Positionen von Frontierland und Adventureland, die Höhle der La Taniere du Dragon, Adventure Isle, und Big Thunder Mountain auf einer Insel sind (unter vielen anderen, die ich jetzt nicht alle auflisten kann!) alles brillante Designentscheidungen. Seit ich mit Tony Baxter, dem federführenden Designer dieses Parks, gesprochen habe, bin ich von seinem Einsatz einer Designtechnik namens Double Duty begeistert. Dabei geht es darum, aus jedem einzelnen Element mehrere Nutzen zu ziehen. Du brauchst nur den Eingang zum Frontierland zu betrachten: Fort Comstock. Im ursprünglichen Disneyland in Kalifornien gab es zwei Cowboy-Forts: das Fort als Zugang zum Land und das Fort Wilderness auf Tom Sawyer Island. Das beurteilte Tony aber als überflüssig und entschied, die zwei Forts zu einem zu kombinieren. Das erlaubte ihm nicht nur das eine Fort insgesamt größer zu gestalten, sondern er konnte das Fort als einen sehr beeindruckenden Eingang zum Frontierland gestalten und darüber hinaus konnte er es noch in eine Walkthrough-Attraktion verwandeln (Legends of the Wild West). Und das alles ohne mehr Geld zu benötigen! Das nenn ich mal cleveres Design.
Discoveryland – eine neue Form eines Tomorrowlands für das Disneyland Paris
Torsten: Einer der größten Unterschiede zwischen Disneylands Paris Disneyland Park und den anderen Magic Kingdoms ist das Discoveryland, das Du eben schon in Deiner letzen Antwort erwähnt hast und das im Gegensatz zu den Tomorrowlands einem ganz anderem Thema folgt. Zumindest ist das Thema im vorderen Bereich die Vision einer vielversprechenden Zukunft, die sich großartige Autoren und Erfinder zur Jahrhundertwende vom 19. auf das 20. erträumt haben. Vom ersten Tag an hat das Konzept eingeschlagen und die Fans haben es geliebt. Erzähl uns etwas mehr davon, wie es designt wurde.
David: Mit dem Discoveryland im Disneyland Paris hat Tim Delaney zwei erstaunliche Innovationen auf den Weg gebracht. Die erste war eine Antwort auf das Problem des Future-Proofing, das viele futuristisch angelegte Projekte plagt. Um aus meinem Buch zu zitieren:
“Future Proofing beschreibt, dass viele Elemente, die gerade noch die Zukunft darstellen, sehr schnell veralten, wenn die Zeit voranschreitet. Die Vorhersage für die Zukunft, die durch ein Element getroffen wurde, erweist sich entweder als richtig oder als falsch, aber wie auch immer, sie ist zumindest nicht mehr futuristisch, oder sie stellt sich als so falsch heraus, dass sie irrelevant wird, insbesondere in Anbetracht der Geschwindigkeit, mit der sich heutige Technologien entwickeln.”
Tomorrowland in Disneyland musste permanent aktualisiert werden (besonders signifikant 1959, 1967 und 1998), was ungemein teuer ist! Tim merkte, dass wenn man eine Zukunftsvision an die Perspektive schon vergangener Gesellschaften (in erster Linie der viktorianischen) bindet, diese niemals einer Aktualisierung bedürfe (und dieser Ansatz war so erfolgreich, dass er später auch für das Magic Kingdom verwendet wurde, diesmal mit einer Zukunftsvision aus der Perspektive der 30er).
Tim nutzte auch einen Designstil, der vorwiegend in anderen Ländern Anwendung fand, aber noch nie zuvor für ein Tomorrowland genutzt wurde. Länder können nach zwei Typen gestaltet werden. Zum einen gibt es spezifische Länder, die gemäß einer spezifischen Zeit und einem spezifischen Raum konzipiert sind (wie Main Street, U.S.A. – eine amerikanische Kleinstadt zur Zeit der Jahrhundertwende) und zum anderen gibt es miteinander verschmolzene Länder (Amalgamated Lands), die eine Fusion mehrerer Orte abbilden (wie Adventureland, welches aus dem mittelalterlichen Arabien, der Karibik des 17. Jahrhunderts und dem Indien des frühen 20. Jahrhunderts besteht) anstatt eine spezifische Welt abzubilden (denn dies kann den Einsatz einiger Elemente stark begrenzen). Tim machte zum ersten Mal aus einem Tomorrowland (mit dem Namen Discoveryland) ein Amalgamated Land, und obwohl dessen übergeordneter Stil eigentlich viktorianisch war, können wir trotzdem eine Clockpunk (Renaissance-) Zukunftsvision mit dem Orbitron sehen, eine Steampunk (victorianische) Zukunftsvision mit Space Mountain, eine Atompunk (1950er-) Zukunftsvision mit Autopia und eine Used Future (zeitgenössische Zukunftvision) mit Star Tours.
Diese zwei Innovationen arbeiten ganz wundervoll zusammen und machen das Discoveryland so besonders – vor allem wenn man bedenkt, dass Tim unter der Vorgaben der französischen Regierung arbeitete, dass das Land die französische Kultur widerspiegeln sollte.
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Ein Blick über den Tellerand: Andere Themenparks und was Disney von ihnen lernen kann
Torsten: Dein Buch behandelt nicht nur Disney, sondern die Themenpark Industrie im Allgemeinen – Du hast sicherlich also auch viele andere Parks dafür besucht. Manche von diesen Parks kopieren viel von Disney, wie der Europa Park dies zumindest in seinen Anfangsjahren tat, manche verfolgen ganz eigene Philosophien, wie De Efteling (mit der Ausnahme des Carneval Festivals). Was könnte Disneyland Paris oder Disney im Allgemeinen Deiner Meinung nach von den anderen Parks lernen?
David: Obwohl Disney sicherlich die Industrie anführt, habe ich bewusst auch andere Themenparks in mein Buch aufgenommen, wie beispielsweise Efteling, PortAventura, Alton Towers und den Europa Park. Es ist wirklich faszinierend wie sich Kunststile, thematische Stile und Geschichtsstile so miteinander kombinieren lassen, dass daraus eine unglaublich große Bandbreite an Themenparks entstehen kann. Die geläufigsten nennen sich Design Style Archetypes und umfassen Traditional parks (wie Efteling), Presentational parks (wie Epcot), Postmodern parks (wie Universal Studios), New Traditional parks (wie Disneyland Paris) und Themed Amusement parks (wie Six Flags). Auch wenn viele europäische Parks Disney in den 80ern kopierten (nichts Ungewöhnliches für im Aufbau befindliche, neue regionale Themenpark-Industrien und auch etwas, dass man momentan in China beobachten kann), haben viele von ihnen ihre eigenen originellen Designs, die durchaus mit der Disney-Qualität mithalten können, wie Efteling, das eine ganz eigene, fantastische Atmosphäre besitzt. In der Themenpark Industrie gibt es gerade den Trend, die Mehrzahl der Projekte im New Traditional-Stil zu konzipieren. Und obwohl das mein persönlicher Lieblingsstil ist, ist es sehr schade, all die anderen Arten von Attraktionen dafür aufzugeben. Die Stärke von kleineren Parks ist, dass sie nicht so stark den Einflüssen der Trends unterliegen und dadurch die Möglichkeit haben, etwas Einzigartiges zu erschaffen, wie zum Beispiel Puy du Fou und Futuroscope und ich hoffe, dass Disney diese Dinge nicht aus den Augen verliert.
Torsten: Kannst Du mit wenigen Worten erklären, wofür die unterschiedlichen Typen, die Du eben erwähnst hast, stehen?
David: Uh, das ist knifflig! Es ist schwer ihre Definitionen vereinfacht darzustellen, weil ich für diese Vereinfachung noch mehr Definitionen benötigen würde! Traditional Parks wären immersiv (den Besucher in die Umgebung hineinziehend), hätten Amalgamated Lands und flache Geschichten – jede dieser drei Bedingungen bedarf weiterer Beschreibung.
Ganz vereinfacht gesprochen ist der Traditional style der Typ, der von Disneyland (als es eröffnet wurde) und von Efteling genutzt wurde – die Länder sind immersiv (das heißt, sie versuchen dich “wirklich” in die Welt hineinzuziehen, die sie repräsentieren), nutzen dafür aber Amalgamated Lands und einen niedrigen Geschichtsanteil (wie Pirates of the Caribbean, das nicht viel mehr erzählt, als dass Piraten eine Stadt plündern – es gibt keine überraschenden Wendepunkte, keine Charaktere mit Namen oder Hintergrundgeschichte).
New Traditional kam in den späten 80ern in Mode und ist so immersiv wie Traditional, benutzt dafür aber spezifische Länder (besonders Länder, die sich um ein einzelnes künstlerisches Werk drehen, wie Harry Potter oder Star Wars) und einen hohen Geschichtsanteil (mit Charakteren mit Namen, Wendungen in der Handlung und viel Hintergrundhandlung).
Der Presentational style ist eine dreidimensionale Dokumentation mit nicht-immersiven Attraktionen, nichtfiktionalen Inhalten und Abstraktion. Angefangen hat dieser Stil mit Epcot, er kann aber ebenso in Futuroscope, SeaWorld und bei Weltausstellungen entdeckt werden.
Die Universal Studios haben dem Postmodern style den Weg bereitet, der eine Art Reaktion auf den Traditional style des Disneylands ist und künstliches und zeitgenössisches zulässt (und interessanterweise auch von Disney für die eigenen Studio Parks übernommen wurde, wie im Walt Disney Studios Park).
Abschließend kommen wir zum Themed Amusement style, wobei eine geringe Thematisierungstiefe genutzt wird, um die Attrakionen, die offensichtlich Fahrgeschäfte aus Freizeitparks sind, von reinen Freizeitparks abzuheben und mit einer eigenen Marke zu versehen. Während Big Thunder Mountain versucht Dich glauben zu machen, du seist wahrhaftig auf einer außer Kontrolle geratenen Grubenbahn unterwegs, setzt beispielsweise der Themed-Amusement Superman: Ultimate Flight Farben und Logos ein, um sich mit Superman in Verbindung zu bringen, anstatt Dich immersiv in die Welt von Metropolis zu transportieren.
Wie denkt ein Imagineer?
Torsten: Ok, ich möchte Deine Geduld auch nicht überstrapazieren und habe Dir ja schon ziemlich viele Fragen gestellt. Ich hätte auch noch weitere Fragen zu Designprinzipien, -techniken etc., die Du in Deinem Buch erwähnst, aber vielleicht können wir über diese in einem zukünftigen Interview sprechen. Bevor wir zum Ende kommen möchte ich gerne einen Blick darauf werfen, was in dem Kopf eines Imagineers vorgeht. Ich gebe Dir jetzt einfach fünf Worte und möchte ganz kurz von Dir wissen, was diese Worte für einen Imagineer bedeuten und was Du mit ihnen verbindest:
- Imagination
- Thematisierung
- Mathematik
- Walt Disney
- Kunst
David:
- Imagination: Ich glaube, Tony Baxter hat es mal am besten formuliert als er Imagination in Journey into Imagination in Epcot wie folgt definierte: Sammeln, speichern und re-kombinieren. Imagination dreht sich darum, permanent auf der Suche nach großartigen Konzepten, Ideen und Elementen zu sein (vor allem in der Themenparkindustrie bedeutet das immer auf der Suche nach Dingen außerhalb des Themenparkdesigns zu sein) und Wege zu finden, diese zu innovieren, indem man sie auf den Kopf stellt, in einer neuen Art und Weise anwendet und sie mit anderen Ideen kombiniert.
- Thematisierung: Thematisierung hat mehrere Definitionen – Themed Design ist die Erschaffung dimensionaler Erlebnisse einer Geschichte (dimensional bedeutet hier, dass etwas wahrhaftig passiert, anstatt angeschaut oder gelesen zu werden, wie in Filmen oder Büchern); Theme ist das das Projekt umfassende Oberthema (das aus einen immateriellen Thema, wie “Furcht erregend”, “wundervoll” oder “inspirierend” oder aus einem manifesten Thema, wie “Piraten”, “Cowboys” oder “Toy Story” bestehen kann). Darüber hinaus kann Thematisierung als die physikalische Konstruktion an sich betrachtet werden – gigantischer U-Boote, oder auch solcher Kleinigkeiten wie der viktorianischen Tapete oder an Zäunen entlang der Wege, die stimmig sein müssen.
- Mathematik: Als Designer bin ich nicht wirklich in den technischen Aspekt der Entwicklung involviert, wohinter die meisten Menschen den mathematischen Part eines Projekts vermuten würden. Allerdings bin ich stark in das Design Programming eingebunden, das nicht minder mathematisch abläuft, als die Entwicklung der Technik. Projekte werden aus einer geschäftlichen Perspektive begründet, mit Budgets, die eingehalten werden müssen und stündlichen Auslastungen, die erreicht werden müssen. Wie viele Wagen brauchen wir in einem Fahrgeschäft, wenn wir beispielsweise 2000 Leute pro Stunde abfertigen müssen? Wie viele Menschen sollen in einen Wagen passen? Wie oft kann der Wagen starten? Viel Mathematik, über die man nachdenken muss!
- Walt Disney: Meiner Meinung nach war Walt Disney der Begründer der Themenparks, und obwohl es schon vorher thematisch gestaltete Projekte gab, definierten seine Innovationen den Themenpark als eigenes Medium (ich habe in meinem Buch sogar ein eigenes Kapitel zu Disneylands Innovationen geschrieben). Obwohl Disneyland zur Eröffnung nicht perfekt war, bin ich immer noch erstaunt, wie viel Walt Disney richtig gemacht hat und ich kann nur Bewunderung für ihn und seine Arbeit hervorbringen.
- Kunst: Mit dem Wort Kunst ist es schwierig und obwohl ich glaube, dass Themenparks eine Form der Kunst mit eigenem Anrecht sind, habe ich mir zu diesem Thema noch kein abschließendes Urteil gebildet und es ist kein Thema, mit dem ich mich in meinem Buch befasse. Daher schließe ich mich erst einmal Eddie Sottos Gedanken an, als ich ihn dazu befragte: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich es Kunst nennen kann, aber es trägt Kunst in sich“.