WestCOT Center – Wie die strahlende Geosphäre aus Florida auch in Kalifornien glänzen sollte
27.06.22, 10:00 |
Bereits in mehreren Artikeln wurde meine Liebe zu EPCOT Center den geneigten Lesern mehr als gewahr. In einem Blog-Dreiteiler habe ich Euch bereits die Geschichte Epcots nähergebracht (Teil 1 findet Ihr hier). Nichts liegt deshalb also näher, als eine neue Reise in die Gewölbe nicht realisierter Disney-Projekte zu unternehmen und die angestrebte, kalifornische Variante namens WestCOT unter die Lupe zu nehmen.
Nicht nur, dass ich mich derzeit auf eine reale Reise zur Westküste der USA vorbereite und daher aufsauge, welche Wunderlichkeiten sich in der Geschichte des Disneyland Resort Anaheim aufstöbern lassen, auch mein herzallerliebstes EPCOT findet sich in dieser Historien-Betrachtung wieder. Außerdem bindet alles, was auch nur den Hauch der „Experimental Community of Tomorrow“ versprüht, all mein Interesse an sich. Nun denn, tauchen wir ein und schauen, welche Schätze sich in dem untergegangenen WestCOT-Schiff bergen lassen.
Es begann Mitte der 1980er Jahre, als Michael Eisner und Frank Wells die Ruder an der Spitze der Walt Disney Company übernahmen. Sie stürzten sich in massenweise neue Projekte, um der Firma ihren Stempel aufzudrücken, und sie aus dem sprichwörtlichen Dornröschen-Schlaf zu wecken (vgl. „Waking Sleeping Beauty“, Dokumentation auf Disney+).
Die Disney-Dekade wird ausgerufen
Das gelang unter anderem, indem wieder Märchen-Neuauflagen wie „Arielle, die Meerjungfrau“ oder „Die Schöne und das Biest“ in der alten Tradition des Animations-Musicals die Kinosäle eroberten und damit die von Michael Eisner als „Disney Renaissance“ bezeichnete Dekade großartiger Film-Erfolge einläutete. Dank sei hierbei auch dem damaligen Chef der Film-Abteilung, Jeffrey Katzenberg, ausgesprochen. Michael Eisner brachte auch eine noch nie dagewesene geschäftliche Aggressivität mit, um Konkurrenten im Themenpark-Geschäft wegzubeißen. Dies zeigt zum Beispiel die Aufgabe des „Good Neighbor“-Programms in Orlando, als Disney noch andere Freizeitparks wie Sea World unterstützte und man Kombo-Tickets für beide Parks verkaufte, oder der Rückkauf des Disneyland-Hotels aus den Händen der Wrather Corporation. All dies machte die Firma Disney zu dem Platzhirschen im Bereich thematisierter Freizeitanlagen, der sie heute ist.
Imagineering auf Hochtouren
Es gehörten allerdings auch massive Investitionen in die Ausweitung der Angebote dazu, sprich mehr Parks. Also rotierten die Imagineers in einer Phase des Brain Stormings und Ideen-Ping-Pongs, aus der der Plan von WestCOT emporstieg. Dieser begeisterte Eisner und Wells derart, dass man daran weiterarbeitete.
Im Grunde ist WestCOT nichts Anderes als ein herunterskaliertes EPCOT Center. Es stellt sich auf dessen Basis und komprimiert wegen des Platzmangels in Anaheim das, was in Orlando rein geografisch weitläufiger und ausufernder gebaut wurde. Die Pavillons von Future World und World Showcase blieben erhalten. Allerdings sollte es im Future-World-Bereich, genannt „Ventureport“, nur noch drei Pavillons geben: „Wonders of Living“, „Wonders of Earth“ und „Wonders of Space“.
Die vier anderen entstünden im World-Showcase-Äquivalent, die „Four Corners of the World“. Hier sollten die Kontinente Afrika, Amerika als Gesamtes (also nicht nur die USA, was viele Menschen meinen, wenn sie „Amerika“ sagen, sondern der komplette Kontinent), Asien und Europa mit ihren kulturellen Aushängeschildern repräsentiert werden. Australien wurde – warum auch immer – ausgelassen. Zusammengefasst bildeten diese beiden Komponenten “The Seven Wonders of WestCOT”, wie sie offiziell getauft waren.
Die Spacestation Earth als Herzstück
Lasst uns nun die Pavillons der WestCOT-Futureworld etwas genauer unter die Lupe nehmen. Der Eingangsbereich sollte wie auch in EPCOT von einer riesigen Geosphäre dominiert werden. Diese wäre nun inmitten einer sattgrünen Insel sesshaft. Der Name des goldenen Ungetüms von etwas mehr als 91 Metern Höhe (EPCOTS Äquivalent “Spaceship Earth“ hingegen ist nur knapp 55 Meter hoch) lautete “Spacestation Earth”, also eine Reminiszenz und Hommage an das ‘Mutterschiff’.
Unterhalb der in einem filigran wirkenden Metallgerüst eingebetteten Kugel ergießt sich ein Wasserfall in Kaskaden, um den herum man die staunenden Besucher zu einer Lobby leitet. Von diesem aus können sie entweder in einen der drei zuvor genannten Pavillons schreiten oder sich auf eine Fahrt in der Spacestation Earth begeben. Die Attraktion der Spascestation Earth sollte eine runderneuerte und aktualisierte Variante von Spaceship Earth sein. Dies stellte Tony Baxter, der an dem Projekt beteiligt war, auf der National Fantasy Forest Convention 1994 in einem Vortrag über WestCOT vor. Falls jemand Spaceship Earth nicht kennen sollte, erhaltet Ihr in diesem Video einen Einblick, um was es sich bei dieser Attraktion handelt:
Erleben mit allen Sinnen
Von der oben genannten Lobby unterhalb der Spacestation Earth aus, führten Wege in die drei Future World ähnlichen Pavillons.
In “Wonders of Earth” sollten die einzelnen Klimazonen unseres Planten nachgebildet werden. Man ginge von tropischen Dschungelorten zu den trocken-heißen Sanddünen der Wüste bis hin zu eisigen Gefilden. Wichtig hierbei ist zu erwähnen, dass die Imagnineers die Besucher von passiven Zuschauenden zu handelnden Akteuren in diesen Umgebungen machen wollten. Die Exponate waren also interaktiv gestaltet. So hätte man beispielsweise im Bereich des Eises auch mit ebensolchem spielen dürfen – Schneeballschlachten inklusive.
“Wonders of Living” machte den Körper und Geist des Menschen zum Gegenstand der Thematik. Hier würden Attraktionen aus ECPOTs “Wonders of Life” wie “Cranium Command”, “Body Wars” und der Film “Making of Me” mit Martin Short in einer besseren Version recycelt werden. Ebenfalls dazu gehörte auch eine veränderte Variante von “Journey into Imagination”. Hierbei bekäme natürlich auch der Dreamfinder mit Figment wieder einen großen Auftritt.
Zu guter Letzt zeigt “Wonders of Space” Attraktionen, die uns in den Weltraum führen. Ich vermute einfach, dass das heutige “Mission Space”, welches in EPCOT nach der Schließung von “Horizons” Gestalt annahm, in WestCOT das erste Mal erprobt werden sollte. Auch “Horizons” selbst wäre in einer neuen, verbesserten Variante zum Einsatz gekommen, mutmaßlich mit einem größeren Schwerpunkt auf die Besiedlung des Weltraums.
Nachdem wir uns von den Wundern der Zukunft haben inspirieren lassen, wollen wir nun die kulturelle Vielfalt der vier Regionen Afrika, Amerika, Asien und Europa erleben.
Weltreise in wenigen Stunden
Das “The Americas” genannte Themenland bringt uns zuerst in eine altbekannte Gegend, nämlich der “Main Street U.S.A.”. Dabei handelt es sich um eine Fortführung der vom Disneyland bekannten Flaniermeile. Sie führt uns zu der aus EPCOT übernommenen, aber neu aufgesetzten und veränderten Version von American Adventure. Wem die Show in EPCOT nicht bekannt sein sollte, darf gerne in dieses Video reinschauen:
Biegen wir nach der Main Street um eine Ecke, so eröffnet sich uns eine Repräsentation Kanadas mit den indigenen Totem-Pfählen. Diese kennen wir auch von EPCOT. Hiernach folgen die herrlichen Azteken-Pyramiden, eine Verneigung vor Mexiko und Inka-Tempel des südamerikanischen Kontinents. Im Inneren der Azteken-Pyramide würde sich wie auch in EPCOT eine ewige Abend-Fiesta vor den Augen der Gäste ausbreiten. Man würde folkloristische Tänze und andere Darbietungen genießen können, während man einen Happen landestypischer Spezialitäten verspeist.
Themenbereich zur “alten Welt”
Nach der ‘neuen’ Welt besuchen wir nun den ‘alten’ Kontinent Europa. Dort betrachten wir ein buntes Gemisch der bereits bekannten EPCOT-Pavillons Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Neu hinzukommen sollten auch Griechenland, die Wiege der Demokratie, mit einer Nachbildung der Akropolis und Russland. Letzterem wollte man auch eine Show widmen. Diese war sogar bereits für EPCOT produziert, konnte jedoch aufgrund des Falls des Eisernen Vorhangs mitsamt dem wirtschaftlichen Umschwung in dessen Folge nicht realisiert werden. In WestCOT allerdings nun könnte es funktionieren.
Weitere Attraktionen, die hier untergebracht werden sollten, waren unter anderem die 360-Grad-Show „Time Keeper“, welche bereits in Euro Disneyland (das heutige Disneyland Paris) lief, und eine Kopie des Kopenhagener „Tivoli”. Dieser Freizeitpark faszinierte Walt Disney bei einer Europa-Reise derart, dass man ihn als Mitursache für die Entstehung der Disney-Parks betrachten kann. Somit ist es nur würdig und recht, ihm eine Entsprechung in der Nähe des ersten Magic Kingdom überhaupt als Denkmal zu errichten.
Von Europa aus wandern wir direkt in den afrikanischen Bereich. Dieser führt uns zwischen Pyramiden und landwirtschaftlichen Ausstellungen zum fiktionalen Congobezi Fluss. Auf diesem könnte man sich todesmutig auf einem floßähnlichen Gefährt hinunterstürzen.
Eine Hommage an die Kulturen Asiens
Zum Schluss wird uns die vielfältige Kultur und Architektur Asiens präsentiert. Wir finden uns wieder in einem aus Indiens Taj Mahal, Chinas Himmelstempel und Japans Pagoden zusammengesetzten Land, in dem es den zweiten Thrill-Ride des Parks zu erleben gilt. Die Achterbahn „Dragon’s Ride“ bewegt sich entlang der chinesischen Mauer auf Berge, die “Drachenzähne”, zu. Dabei haben die Wagen des Rides die Form eines chinesischen Drachens. Am Höhepunkt der Achterbahn hüllt ein Tunnel aus Seidenstoff die Wagen ein, damit die Sicht auf die reale Welt außerhalb des Parks verdeckt und die Magie somit erhalten bliebe.
Eine parkumspannende Attraktion
Wir können hier auch direkt in die nächste parkumspannende Attraktion einsteigen, die alle Weltkultur-Bereiche und den Ventureport miteinander verbindet. Diese Attraktion mit dem Namen “The River of Time” hätte in diesem Park die längste Dauer, wenn man sie komplett durchführe. Geplant war, dass sie eine Gesamtlänge von 45 Minuten hätte (pro Abschnitt jeweils 9 Minuten Fahrzeit zwischen den einzelnen Themenländern). Die Idee war, dass sie Szenerien mit Animatronics, die uns die größten Errungenschaften der Weltgeschichte präsentieren, enthält. Beispiele wären hier die aus Spaceship Earth bekannte Darstellung der Bemalung der sixtinischen Kapelle oder der Brand der Bibliothek Alexandrias.
Szenen also, die in zwar zur Kulturgeschichte der Menschheit gehören, allerdings nicht offensichtlich mit Kommunikation zu tun haben, welche das Hauptthema von Spaceship Earth sein soll. Daher sollten sie besser in einem anderen Kontext eingesetzt werden können. So erklärte Tony Baxter dieses Vorhaben zumindest während seines Vortrags auf der National Fantasy Forest Convention 1994 . Dabei sollte genau darauf geachtet werden, dass zum Beispiel auf der Fahrt zum afrikanischen Bereich auch hauptsächlich afrikanische Geschichten gezeigt würden, in Asien asiatische und so weiter. Die Stationen, an denen Besucher aus- oder zusteigen konnten, würden die während der Fahrt erlebten Geschichten noch mal aufgreifen und vertiefen, bevor man langsam einen Wechsel zu dem jeweiligen Bereich, in dem man sich befindet, erlebt.
Ausbau des gesamten Disneyland Resort
Zugleich kamen auch noch neue Hotels dazu, denn man müsse die anströmenden Gäste geflissentlich unterbringen, damit sie sich nicht in die angrenzenden Nachbar-Hotels absetzen können. Wie in Orlando wollte man möglichst alle Besucher in der „Disney Bubble“ halten. Also wurden gleich drei weitere Hotels in die Planung eingeschlossen: Das „New Disneyland Hotel“, vermutlich nur ein Arbeitstitel, das „Magic Kingdom Hotel“ und das „WestCOT Lake Resort“.
Das Besondere am WestCOT Lake Resort würde sein, dass es sich wie das heutige „Miracosta Hotel“ in „Tokyo DisneySea“ direkt in den Park einfügt und man quasi in WestCOT schlafen könnte. Es wäre somit das erste seiner Art gewesen. Zusätzlich zu diesen geplanten Maßnahmen würde auch ein „Disneyland Center“, ein Einkaufszentrum, entstehen. Dies wäre dem heutigen Disney Springs in Orlando optisch ähnlich. Es sollte die Parks und den Hotel-Distrikt miteinander verbinden, um die gesamte Anlage wie aus einem Guss wirken zu lassen. Weiterhin wurden an den Rändern des Resorts neue Parkhäuser entstehen. Schließlich sollte der altbewährte Parkplatz vor Disneyland ja der neue Themenpark werden.
Die Parkgaragen und die Parks wären mit „People Movern“ verbunden. Dabei handelt es sich um eine Transportmöglichkeit, die 1967 als eigene Tomorrowland-Attraktion im Disneyland eröffnete und sich in Form des Tomorrowland Transit Authority People Mover im Magic Kingdom großer Beliebtheit erfreut. Auch die Route der Monorail wollte man erweitern. Dies hatte zwei Gründe. Man wollte einerseits durch WestCOT fahren und am Ventureport eine Station haben und andererseits auch die anderen Hotels anzusteuern. Die Führungsebene um Eisner/Wells rechnete also mit einem riesigen Touristenandrang, sobald WestCOT fertig gestellt sein würde.
Von WestCOT zu Disney’s California Adventure
Doch der Wermutstropfen kommt unerbittlich, denn wir wissen, dass WestCOT nur ein schöner Traum bleibt. Auch wenn es meiner bescheidenen Meinung nach in jeder der weltweiten Disney-Anlagen eine EPCOT-Variante geben sollte. Aber da spricht nur die Liebe zu diesem Park aus mir. Nun, gehen wir also den harten Weg, der uns zur „Ablage P“ der WDI-Denkfabrik führt. Eigentlich lässt es sich – wie immer – auf den schnöden Mammon herunterbrechen, wenn ein Themenpark oder nur ein Bereich innerhalb eines Parks nicht gebaut wird.
Der Einfluss des Disneyland Paris auf die WestCOT-Pläne
Als erstes muss ich hierbei wieder den miserablen Start von Euro Disneyland hinweisen. Man hat sich einfach einer völlig falschen Vorstellung hingegeben, dass ein europäisches Disneyland ebenso einschlüge wie in den USA und Japan. Doch schon der Bau Euro Disneys wurde von Protesten begleitet. Das Feuilleton zahlreicher europäischer Redaktionen wetterte gegen den amerikanischen “Kulturimperialismus” und die Europäer insgesamt waren zurückhaltender, den Park – vor allem wegen der schon damals hohen Preise – zu besuchen.
Daher geriet Euro Disney zum finanziellen Desaster, das auf lange Sicht mit neuem Geld versorgt werden musste und Gefahr lief, wieder komplett eingestampft zu werden. Gott sei Dank konnte das Resort bei Marne la Vallée diesem Schicksal entrinnen. Heute erfreut es sich (einigermaßen) guter Gesundheit und Aufmerksamkeit.
Kritik durch die Anwohner Anaheims
Somit fehlte es also an Geld für gewagte Projekte in den USA heimischen Parks. Das bedeutete nicht nur für WestCOT einen Todesstoß, sondern erstickte auch solch ambitionierten Plänen wie Disney’s America im Keim. Doch auch Widerstände aus der Bevölkerung Anaheims bremste Eisners Enthusiasmus und Engagement. Es wurden Beschwerden laut, man könne von dieser großen, angeleuchteten Geosphäre von Spacestation Earth geblendet werden und nachts nicht mehr schlafen, da sie zu einer exorbitanten Lichtverschmutzung beitrage, die die Gesundheit der Anrainer in hohem Maße beeinträchtige.
Zudem würden durch den befürchteten Massenansturm neuer Touristen die Straßen rund um das Disneyland Resort verstopft. Man befürchtete, dass Anwohner rund um die Ferienanlage zwangsumgesiedelt würden, sollte dieses Großprojekt umgesetzt werden. Daher protestierte ein nicht kleiner Teil von Anaheims Bürgern vor dem Stadtrat und über die örtliche Presse gegen WestCOT. Doch selbst Disneys Entgegenkommen in einigen der beklagten Bereiche wurde nicht goutiert. Aus diesem Grund kam schlussendlich das rote Tuch. WestCOT verschwand mit einigen anderen Konzeptionen in dem Gewölbe, in das ich mich immer wieder gerne hinab begebe und zumindest für den Moment des Lesen hervorzaubere.
Jedoch konnte bei allen Rückschlägen Eisners – Achtung flacher Wortwitz – eiserner Wille nicht gebrochen werden, dem originalen Disneyland einen zweiten Park zu bescheren. Jedoch war die erste Inkarnation von „Disney California Adventure“ ein verunglückter Versuch, Reisende nach Kalifornien zu locken, um sie davon abzuhalten den Staat zu besichtigen und sich ausschließlich in der „Disney Bubble“ aufzuhalten. Doch das Thema heben wir uns für eine neue Geschichte aus der Reihe „Disneys verschollene Attraktionen“ auf.