Beastly Kingdom – ein Ort für Fabelwesen und solche, die es gerne wären
03.02.22, 11:26 |
Mit dem Minitierpark Discovery Island hat die Walt Disney Company bereits Erfahrungen im Bereich thematisierter zoologischer Gärten gemacht. Im Jahre 1998 wagten sie sich daran, mehrere Schritte zu überspringen und mit dem Animal Kingdom den größten Themenpark mit lebenden Tieren zu eröffnen. Es sollten jedoch nicht nur allerlei Wildtiere dieses Planeten zu sehen sein, sondern auch die Welt der Fabelwesen hätte man erkunden können. Doch dieses Unterfangen verblieb dort, wo auch die mystischen Tierwesen leben: Im Reich der Fantasie.
Die Idee hinter dem Beastly Kingdom
Es war das Grundkonzept des Animal Kingdom, welches der legendäre Imagineer Joe Rhode der Führungsebene der Abteilung „Parks & Recreation“ Disneys vorstellte. Animal Kingdom widme sich drei Arten von Tieren: Denen, die es heutzutage auf unserer Erde gibt, denen, die in der Vergangenheit existieren, jedoch lange vor unserer Zeit ausstarben (also Dinosaurier), und denen, welche nur in unserer Fantasie leben. Worte, die später in die offizielle Eröffnungsrede von Michael Eisner Einzug hielten.
Der Drache im Logo des Animal Kingdom, eine massive Statue eines Drachenkopfes über einer der Tageskassen sowie der Parkplatzbereich „Einhorn“ kündigen noch heute davon, was wir – hätte es Beastly Kingdom gegeben – in diesem Teil von Animal Kingdom hätten sehen dürfen.
Wie in der Welt der Märchen üblich, ist Beastly Kingdom von zwei Seiten geprägt: Der guten und der bösen; und von zwei Seiten führten Wege in das Land dieser fantastischen Tierwesen.
Auf der hellen Seite von Beastly Kingdom
Ein Weg führte in den bunten, leuchtend hell gestalteten Garten der Einhörner, Pegasi, Faune und anderen lieblichen Gestalten. Architektonisch orientierten sich die Imagineers am antiken Griechenland. Dieses vermittelt mit den luftigen von Säulen getragenen Bauwerken einen Eindruck von Leichtigkeit und Offenheit.
Hier sollten die Attraktionen „Quest for the Unicorn“ und „Fantasia Gardens“ untergebracht werden. In Quest for the Unicorn beträten wir ein Labyrinth, ähnlich dem Alice’s Curious Labyrinth in Disneyland Paris. Der Unterschied liegt natürlich auf der Hand: Statt des Alice-Motivs und des Schlosses der Herzkönigin in der Mitte des Irrgartens würden wir den wundersamen Einhorn-Wald durchstreifen. Dabei würden wir mit interaktiven Elementen in Verbindung treten, um den Weg zur famosen Grotte der Einhorns freizulegen. Letztlich stünden wir Aug’ in Aug’ mit selbigem. Anhand der Konzeptzeichnungen möchte ich fast sagen, dass es von „Das letzte Einhorn“ inspiriert scheint. Aber das kann auch an mir liegen, da er zu meinen Lieblingsfilmen als Kind gehörte.
Eine Attraktion zu “Fantasia”
Die zweite bekannt gewordene Attraktion in diesem Bereich sollte uns per Bootsfahrt durch zwei Sequenzen des Filmes „Fantasia“ führen. Zum einen durch die Szene mit dem Ballett „Tanz der Stunde“, in welchem Alligatoren und Nilpferde miteinander in Reigen tanzen. Zum anderen zur „Pastorale“ Beethovens, in welcher Zentauren, Satyren und eine Familie der Gattung Pegasus in vergnüglichem Spiel einen Tag der Freude verleben. Leider gibt es zu dieser Fahrt keine detaillierteren Konzepte. Daher müsst Ihr Euch einfach ein Bild vor Eurem inneren Auge machen, welche Szenerien wir anblickten.
Zur dunklen Seite ist es nicht weit
Der zweite Weg führte auf die ‘böse’ Seite des Beastly Kingdom. Nach einem dunklen, sinistren Wald beträten wir ein ebenso dunkel gestaltetes, mittelalterliches Dorf. Verlassen und versengt, kündete dieser Anblick von einem fürchterlichen Ereignis. Ein Drache erklärte dieses Dorf und die darin befindliche Burg zu seiner neuen Heimat und schlug die Menschen Feuer speiend in die Flucht.
Diese vor sich in bröckelnde und immer noch rauchende Burg zieht uns Besucher weiter vorwärts. Zerbrochene Lanzen, versprengte Rüstungen und Schwerter säumten den Weg hinauf zu den Unheil versprühenden Mauern. Ein sagenhafter Schatz sollte im Burgturm versteckt und vom Drachen eifersüchtig bewacht sein.
Während wir nun die verlassenen Hallen der Festung erkundeten, befänden wir uns auch schon inmitten der Highlight-Attraktion, unter Fans auch „E-Ticket“ genannt, dem „Dragon’s Tower“. Auf unserem Weg durch die einzelnen Abschnitte würden uns Fledermäuse, die von alten Dachbalken als audio-animatronische Figuren herabhingen, dazu überreden auf einen halsbrecherischen Raubzug zu gehen. Sie hätten auf den vom Drachen einst hier gebunkerten Schatz ein Auge geworfen und wollten dem Räuber das Diebesgut entwenden. Doch sie bräuchten dafür unsere Hilfe, den jemand müsse den Schatz auf Händen nach draußen bringen. Sie würden uns dafür durch die Lüfte tragen und vor dem Drachen in Sicherheit bringen.
Die Technik hinter dem “Dragon’s Tower”
Soweit zur Geschichte, nun zur Technik. Diese Attraktion wäre die erste invertierte Achterbahn des gesamten WDW-Themenpark-Komplexes geworden. Dabei sind die Sitzbänke nicht auf, sondern unter den Schienen der Achterbahn montiert. Damit sollen die Besucher ein Gefühl von Fliegen bekommen. Das hätte auch zur Rahmenhandlung der Attraktion am besten gepasst.
In der weitergehenden Geschichte dieser Fahrt würden wir natürlich vom Drachen in seiner Schatzkammer aufgespürt und entkämen nur knapp dem Flammentod. Es war sogar als fester Bestand geplant, den Drachen-Animatronic, der auch Bestandteil der Bahn gewesen wäre, tatsächliches Feuer in Richtung der fliehenden Schatzjäger speien zu lassen. Die Imagineers hatten dabei eine Weiterentwicklung des Pariser Drachens aus dem Kerker des Dornröschen-Schlosses im Kopf.
Die Zukunft des Beastly Kingdoms schien rosig
Damals durchgeführte Gästebefragungen im WDW-Resort stimmte Disney zuversichtlich, denn es waren schier begeisterte Antworten an das Marktforschungsteam geschickt worden. Es gab viele Aussagen, man käme allein wegen Beastly Kingdom und Dragon’s Tower mehrfach zurück nach Animal Kingdom. Dies überzeugte alle an dem Projekt beteiligten Personen, hiermit einen riesigen Hit landen zu können.
Während der Bauphase von Animal Kingdom merkte man allerdings schnell, dass die monetären Ausmaße, die man für eine artgerechte Haltung der Wildtiere in den Teilbereichen „Afrika“ und „Asien“ ausgeben musste, eine komplette Fertigstellung inklusive Beastly Kingdom und Dinoland USA, dem Bereich des Parks, welcher den ausgestorbenen Tieren gewidmet sein würde, nicht stemmen könne. Zumal Disney mit dem Bau von Euro Disney bereits viel Eigenkapital aufgebraucht hat und durch fehlende Ticketverkäufe nicht so schnell wieder einholen konnte. Daher wurde in den Management-Etagen die Frage gestellt: Beastly Kingdom oder Dinoland, USA?
Entscheidung gegen das Beastly Kingdom
Zu jener Zeit produzierte Disney gerade den CGI-Film „Dinosaur“ mit ebenfalls hohem finanziellem Aufwand. Aus diesem Grunde entschieden die Disney-Köpfe aus marketingtechnischen Gründen das Dinoland dem Beastly Kingdom vorzuziehen. Beastly Kingdom wurde auf „Phase II“, der ersten Erweiterung Animal Kingdoms, verschoben. Das Land, wo später einmal Beastly Kingdom in Erscheinung träte, sollte von einem kostengünstigen, temporären Bereich belegt werden. Etwas, was schnell aufgebaut und mindestens genauso schnell abgebaut werden kann, und quasi aus der Portokasse zu bezahlen sei.
Als Animal Kingdom am „Earth Day“ des Jahres 1998 (22. April) eröffnet wurde, gab es das Beastly Kingdom also (noch) nicht. An dessen Stelle stellte man das „Camp Minnie-Mickey“ auf. Im Camp Minnie-Mickey gab es vor allem viele Charakter-Treffen und die Show Festival of the Lion King. Diese war so beliebt, dass sie später im Africa-Bereich des Animal Kingdom einen festen Ort erhielt.
Kleine Appetithäppchen überall
Aber man war ja sicher, dass spätesten Mitte der des ersten 2000er-Jahrzehnts Beastly Kingdom seinen berechtigten Platz einnähme. Auch der Wasserfall, der sich aus dem Mund eines drachenähnlichen Tieres ergoss, war im Animal Kingdom zu finden und teaserte das zu erwartende Land der Fabelwesen an.
Die Bootsfahrt „Discovery River Boats“, eine recht kurzlebige Bootsfahrt rund um das Animal Kingdom, zeigte ebenfalls einige Szenen, die den Appetit auf Beastly Kingdom anfeuern sollten. Eine Einhorn-Statue wurde zum Beispiel an einer Flussbiegung aufgestellt. Danach kamen der berühmte Drachen-Wasserfall und eine Höhle, aus der gefährliches Knurren und gelegentliche Feuerstöße drangen.
Wie das Beastly Kingdom zerfiel wie die Kulisse seines Dragon Towers
Doch auch die selbstbewsstesten Fürsprecher Beastly Kingdoms konnten gegen eine Reihe von unglücklichen Umständen nichts ausrichten, die am Ende das Aus für Beastly Kingdom bedeuteten. Denn entgegen der Annahme, dass das Animal Kingdom mehr Besucher für Disney World generieren würde, zog es stattdessen Gäste von den drei übrigen Parks ab und stellt bis heute einen schaubildhaften Fall von Kannibalisierungseffekt dar.
Als Reaktion darauf setzte die Führungsebene unter Michael Eisner Gelder ein, um für das Magic Kingdom, EPCOT und die Hollywood Studios (damals noch Disney-MGM Studios) neue Attraktionen, Paraden und Shows zu kreieren. Diese sollten den Abzug der Gäste lindern. Allerdings waren dies Gelder aus Töpfen, die für das Beastly Kingdom vorgesehen waren. Die dadurch verursachte erneute Vertröstung, dass Beastly Kingdom noch später als Mitte der 2000er gebaut werden könnte, und damit verbundene Entlassungen in der Abteilung Walt Disney Imageneering schlug den Beastly-Kingdom-Erfindern dermaßen auf den Magen, dass sie sich dem größten Konkurrenten Disneys im Themenpark-Geschäft in Orlando anboten: Universal Studios.
Universal baut die “Islands of Adventure”
Daraufhin begann man bei Universal mit der Planung und dem Bau des zweiten Parks in Orlando, den „Islands of Adventure“. Einige der Ideen, die ehemalige Imagineers für Beastly Kingdom erdacht hatten, fanden nun Realisierung in Universals Gefilden. Beispielsweise die Achterbahn „Dueling Dragons“, deren Aufmachung stark an Dragon’s Tower erinnerte:
Ebenso entstand dort die Familien-Achterbahn „Flying Unicorn“, was nicht von ungefähr kommen konnte:
Als Michael Eisner heimlich die Islands of Adventure besuchte und all die Attaktionen wiedererkannte, an welchen Disney zuvor arbeitete, entschied er sich dazu, das Beastly Kingdom gänzlich auf Eis zu legen. Aktuell ist die einzige Attraktion innerhalb des Animal Kingdom, welche noch ein Fabelwesen beinhaltet, Expedition Everest, deren Eröffnung 2006 erfolgte.
Doch auch bei Universal hielten es die Fabelwesen nicht ewig aus. Im Jahr 2011 musste der Bereich rund um Flying Unicorn der „Wizarding Wold of Harry Potter“ weichen und die Einhorn-Achterbahn wurde zu „Flight of the Hippogriff“. Die sich duellierenden Drachen durften sich noch eine Weile weiter um die Wette jagen, unter dem Namen „Harry Potter’s Dragon Challenge“. 2019 ersetzte man sie schließlich durch „Hagrid’s Motorbike Adventure“.
Es war also vermutlich gar nicht so dumm, das „Beastly Kingdom“ auf dem Zeichenbrett zu belassen und stattdessen darauf zu warten, dass sich mit der Lizenzierung von James Cameron’s “Avatar” eine weitaus lukrativere Erweiterung des Animal Kingdom ergeben konnte. Ich halte es daher auch für sehr fragwürdig, dass wir jemals eine Abwandlung von Attraktionen aus dem oder sogar das ganze Beastly Kingdom irgendwann verwirklicht sehen werden. Aber bei Disney weiß man nie, ob sie die alten Konzepte nicht doch noch einmal aus dem Hut zaubern.